Alibaba feilt am Hotel der Zukunft
Ein Prototyp im chinesischen Hangzhou setzt auf Gesichtserkennung, intelligente Lautsprecher und auf Roboter statt Personal
MATTHIAS MÜLLER, HANGZHOU
Beim Betreten des von Alibaba betriebenen Flyzoo Hotels, unweit des Firmensitzes des E-Commerce-Konzerns in Hangzhou gelegen, erinnert wenig an eine Herberge. Eine Rezeption gibt es nicht, es ist kaum Personal auszumachen. Das Design ist futuristisch und minimalistisch. Es gleicht mehr einem Raumschiff denn einem Hotel. Alles ist in Weiss gehalten, das Mobiliar auf das Wesentliche reduziert. Doch statt an einem Raumschiff feilt Alibaba am Hotel der Zukunft. «Ende Jahr wollen wir so weit sein, um die chinesische Hotelbranche auf Basis unserer bisherigen Erfahrungen beraten zu können», sagt Andy Wang, der das Konzept entwickelt hat. Im Dezember vergangenen Jahres ist die Unterkunft der Zukunft eröffnet worden.
Zimmer per App
Der Name des Hotels nimmt denn auch Anleihen bei Alibaba. «Fly» leitet sich von Fliggy ab, so nennt sich die Reiseplattform des E-Commerce-Unternehmens. «Zoo» steht symbolisch für all die verschiedenen von Alibaba eingesetzten Technologien, die im Hotel wiederzufinden sind. Das Credo des chinesischen Konzerns lautet: Dank Robotern, Gesichtserkennung und intelligenten Lautsprechern kann sich das Personal auf die wesentlichen Wünsche der Gäste konzentrieren – dennoch oder gerade deshalb kommt die Gastfreundschaft nicht zu kurz.
Hotelgäste können bereits über die App wählen, in welcher Himmelsrichtung das Zimmer liegen soll und in welcher Etage sie nächtigen wollen. Vor der Anreise können sie per App und Gesichtserkennung einchecken. Alternativ stehen im Empfangsbereich auch Terminals zur Verfügung. Einheimische Gäste legen ihren Personalausweis auf und erhalten auf ihr Smartphone einen Code gesandt, den sie dann einzugeben haben.
Schliesslich haben sie die Wahl, ob innerhalb des Hotels alles per Gesichtserkennung bewerkstelligt werden soll. Wer dies nicht wünscht, für den spuckt das Terminal stattdessen eine Karte aus. Für Ausländer ist das Prozedere etwas mühsamer. Die Passdaten müssen manuell eingegeben werden. Internationale Gäste haben dennoch die Möglichkeit, das Leben im Flyzoo Hotel mit ihren Gesichtern zu steuern.
Wer auf die Technologie vertraut und alles mit einem Lächeln regeln will, blickt im Aufzug in eine Kamera, und das System weiss umgehend, in welchem Stockwerk das Zimmer des Gastes liegt. Auch dort genügt ein Blick auf die Tür, die sich nach der Identifikation wie von Geisterhand automatisch öffnet. Auf dem Boden ist beim Betreten der Räumlichkeit durch ein Lichtspiel die Zimmernummer zu lesen. Die Zimmer sind wie die Empfangshalle ganz in Weiss gehalten und auf das Wesentliche reduziert. Der Minimalismus versprüht eine gewisse Kälte. In den Räumen können die Gäste alles mit den von Alibaba entwickelten intelligenten Lautsprechern namens Tmall Genie steuern, die allerdings nur die chinesische Sprache verstehen. Für Ausländer bleibt der Trost, dass sie viele Angelegenheiten über die App regeln können.
In China werden intelligente Lautsprecher immer populärer. Laut dem Marktforschungsunternehmen Canalys hat sich die Zahl der in China ausgelieferten Geräte im zweiten Quartal 2019 gegenüber der Vorjahresperiode auf 12,6 Mio. verdoppelt. Und die Geräte von Alibaba rangieren im weltweiten Ranking nach jenen von Amazon, Baidu und Google mit 4,1 Mio. Einheiten auf dem vierten Platz. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht dies einem Plus von annähernd 40% für Tmall Genie.
Smarter, stummer Barkeeper
Mit solchen «smart speakers» lassen sich im Flyzoo Hotel das Fernsehgerät steuern, die Beleuchtung sowie die Raumtemperatur regeln und die Vorhänge öffnen oder schliessen. Und wen der Hunger packt oder wer Durst bekommt, gibt über den intelligenten Lautsprecher eine Bestellung auf. Geliefert wird fast alles von Robotern, die wissen, wohin sie liefern müssen. Auch im Restaurant kommen sie zum Einsatz.
Selbst das Fitnessstudio setzt auf Hightech. Statt eines durchtrainierten Trainers gibt auf einer riesigen Leinwand ein Avatar vor, welche Übungen die Sportler ausführen müssen. Wer auf solch künstliche Figuren keine Lust hat, der kann sich stattdessen auf Laufbändern und Fahrrädern trimmen. Und wer ob der ganzen Einsamkeit abends sich zumindest mit dem Barkeeper austauschen will, wird auch dort enttäuscht. Ein Roboter mixt und schüttelt diverse Cocktails und Mocktails. An der Bar ist der Spruch «Powered by Artificial Intelligence, Crafted by You» zu lesen. Selbst für die Bestellung braucht es kein Personal. Man scannt einfach mit der App von Alipay den QR-Code, stellt das Getränk der Wahl zusammen und bezahlt per Mobile Payment.
Alibaba bezeichnet das Flyzoo Hotel als Prototyp. Da es dank intelligenter Technologie gelungen sei, den Detailhandel zu reformieren, stehe nun die Reisebranche vor einem ähnlichem Wandel, teilt der Konzern mit. Die beim Flyzoo Hotel zu bestaunenden Technologien sollen der Tourismusbranche ausserordentliche Einblicke liefern, durch welche die Arbeitsabläufe auf ein neues Niveau gehoben werden können, lauten die Gedankenspiele von Alibaba. Jetzt müssen nur noch die Kunden mitspielen.
Aus dem NZZ-E-Paper vom 18.11.2019